Lobbymacht satirisch aufbereitet – „Wo wir sind, ist oben“ – eine Fernsehempfehlung

Der ARD ist mit „Wo wir sind, ist oben“ eine wunderbare Miniserie über Spindoktoren und Politikberatungen im Berliner Politikbetrieb gelungen, die konsequent in alle politischen Richtungen austeilt. Max Lentor und Valerie Hazard, zwei junge LobbyistInnen der konkurrenzierenden Agenturen ABC und Pegasus, drehen fast vollkommen moralbefreit an allen erdenklichen Schrauben im Politbetrieb der deutschen Hauptstadt mit. Pointierte Dialoge mit viel Doppelbödigkeit und raffinierte dramaturgische Täuschungsmanöver machen diese Serie wirklich sehenswert. Sie ergänzt die Palette guter Politikkomödien wie die französisch-belgisch-deutsche Koproduktion „Parlament“ über das Europäische Parlament (Arte) oder Eichwald, MdB über einen glücklosen Bundstagsabgeordneten (ZDF). Alle 8 Folgen von „Wo wir sind, ist oben“ gibt es seit Juni 2024 in der ARD-Mediathek.

Von der Seitenlinie aus

Elegant wird die komplexe aktuelle Gemengelage in Deutschland durchdekliniert: das Ringen um Technologieexporte und allgegenwärtige Wirtschaftsspionage werden vor dem Hintergrund des globalen Wirtschaftskriegs zwischen China und den USA ebenso beleuchtet wie die Kampagnenplanung für kommende KanzlerkandidatInnen oder Intrigen bei der Besetzung von Positionen in der Justiz. Wie die Medien allgemein – und insbesondere die Gästeauswahl bei Talkshows – den Kampf um die öffentliche Meinung beeinflussen und wie mit einen gezielten Leaking von Gutachten EntscheiderInnen beeinflusst werden – all diese Themen werden satirisch beleuchtet.

Unterhaltsames Politikseminar

Der Grimmepreisträger Christian Jeltsch hat als Chefautor mit seinem Team nicht nur flotte und punktgenaue Dialoge mit viel Wortwitz geschrieben. Sie verweben raffiniert und doppel- bis mehrfachdeutigem Bezüge zu realen Personen, ohne je Namen zu nennen. Dies macht die Suche nach den Parallelen zu einem amüsanten Politikquiz für AnfängerInnen und Fortgeschrittene gleichermassen. Sprechende Namen wie Hazard („Gefahr“), Talkshowhostess Nina Gell (statt Anne Will) oder der Politik beeinflussende omnipräsente Investstmentfond Whiteberg (statt Blackrock) verweisen auf reale Vorbilder. Dass Lachen am falschen Ort Karrieren ruinieren kann, wissen wir spätestens seit Armin Laschet. Eine Geschichte über Henry Kissinger und die Prinzipien der Pendeldiplomatie, die wirtschaftlichen Hintergründe von Mautskandalen oder der Einfluss von Sex and Drugs auf Entscheidungen erklären, warum wer, wem, wann plötzlich wieder die Hände wäscht oder schüttelt.

Kohle & Klima in der Lausitz

Dass Politik auch nur von Menschen gemacht wird, wird vor allem bei dem grossen Handlungsstrang rund um die Proteste gegen den Braunkohleabbau im Osten deutlich. Beide Hauptrollen leiden unter ihren komplizierten familiären Herkünften. Und jede Figur in diesem amüsanten Pokerspiel ist korrumpierbar, wenn nur der richtige Anreiz gesetzt wird. Bei den einen ist es Geld, bei anderen Karriere oder die harte Auseinandersetzung der Kindergenerationen mit ihren Eltern. Immer wieder verwischen die Grenzen zwischen Gut oder Böse. Allianzen, Überzeugungen und auch sexuelle Präferenzen werden wie die Hemden gewechselt.

Wem gehört die Story?

Die teils absurde Komik funktioniert vor allem deshalb so gut, weil die Figuren auch über Tiefgang verfügen. Persönliche Kränkungen und Verletzungen tragen zu den Biographien der Rollen ebenso bei wie ihre ihre Ideals und Träume. Und mit jeder neuen Folge erfahren wir mehr. Vor allem bei Max, der aus dem vom Abriss bedrohten Dorf Daunitz stammt, wird sein Wunsch auf Selbstbestimmung deutlich. Die Erkenntnis, ganz anders als sein Umfeld zu sein, und dem Hass der ostdeutschen Prrovinz zu entkommen spornt ihn an. Das Bedürfnis nach der eigenen Geschichte, der eigene Wahrheit wird bei ihm zu einem Leitmotiv, das immer wieder spannende Wendungen erfährt.

Wunderbares Ensemble

Unter der Regie von Wolfgang Groß liefern sich Helgi Schmid (Max) und Nilam Farooq (Valerie) ein ebenso persönliches wie professionelles Wettrennen um die Aufträge rund um Macht und Einfluss, die PolitikerInnen und WirtschaftsführerInnen zu vergeben haben. Auch die erste Riege deutscher Film- und Fernsehstars zieht lustvoll alle Register in diesem bitterbösen Projekt: Ulrike Kriener brilliert als Grand Dame der Politikberatung noch aus Bonner Zeiten. Jan Gregor Kremp zieht als mit allen Wassern gewaschener Agenturinhaber Magnussen aus dem Floating Tank heraus die Strippen. Maximilian Grill sorgt als koksender Chefredakteur des allmächtigen Mach-Medienkonzern immer wieder dafür, dass echte und falsche Skandale unüberhörbar sind. Thorsten Merten als Max’s Vater und Valerie Stoll als seine kleine Schwester CeeCee machen viele schiefe Ostbiographien verständlich.

Kurzum: ein sehenswertes Vergügen, das man am besten gemeinsam im politisch interessierten Freundeskreis geniessen sollte.

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