Wenn der Hahn kräht – ein begeisternder Abend an der Komischen Oper

Die A-Premiere des „Goldenen Hahns“, der letzten Oper von Nikolai Rimski-Korsakow, an der Komischen Oper Berlin am 28. Januar 2024 war ein rundum begeisternder Musiktheaterabend. Wer noch kein Ticket für die wenigen Folgevorstellungen hat, sollte sich mit dem Bestellen beeilen, um dieses ebenso prall-unterhaltsame wie bitter-aktuelle Inszenierung mitzuerleben. Kleiner Tip: keine Karten zu weit rechts nehmen, da die Titelfigur sonst nicht unbedingt zu sehen ist.

Musikalisch, szenisch und nicht zuletzt darstellerisch auf allerhöchstem Niveau war diese Übernahme der Produktion vom Festival in Aix en Provence aus dem Jahr 2021 ein ebenso sinnliches wie intellektuelles Vergnügen, das viele gedankliche Verbindungen öffnet.
Rimski-Korsakow hatte die Oper als seine persönliche Abrechnung mit dem russichen Zaren schon 1906 und 1907 komponiert. Doch die Uraufführung fand erst nach seinem Tod 1909 in Moskau statt, allerdings in einer durch die Zensur erheblich entschärften Version statt.
Die nicht durch eine Zensurbehörde überwachte Pariser Aufführungsserie der Oper fand 1914 durch die Ballets Russes unter der Leitung des Impresarios Sergei Djagilew statt und sorgte für Aufsehen. Die SängerInnen standen mit ihren Noten seitlich auf der Bühne während TänzerInnen und SchauspielerInnen die Handlung , ohne zu singen darstellten. Kosky übernimmt dieses Prinzip für den Hahn, dessen Stimme von Julia Muzychenko aus dem Off kommt und der von Daniel Daniela Ojeda Yrureta als Zwitterwesen aus Mensch und Vogel verkörpert wird.

Das Einheitsbühnenbild von Rufus Didwiszus – ein grauer Kasten, in dem ein öder Feldweg in der russichen Steppe angedeutet ist – orientiert sich an Arbeiten des in Deutschland wirkenden Malers und Grafikers Alfred Kubin, dessen Frühwerk Rimski- Korsakows auch kannte. Inmitten karger Grasbüschel und einem abgestorbener Baum erlebt das Publikum eine Reise in den verwirten Geist des „Königs Dodon“, der in Unterwäsche über ein bizarres Traumreich regiert.

Bravouröse DarstellerInnen

Der russische Bassist Dmitry Ulyanov verkörpert diesen ebenso kindlich-naiv wie herzlos-brutalen Herrscher über die vollen zwei Stunden hinweg mit einer Stimmgewalt und einer faszinierenden körperlichen Präsenz. Er irrlichtert zwischen Grössenwahn und Einfalt und ist dabei stets Zentrum des Stücks. Genussvoll lotet er die Grenzen des Wahnsinns aus: vom allmächtigen Herrscher zum aufstampfenden Vierjährigen, dessen Wünsche nicht erfüllt werden ist alles alles dabei.
Wie er im dritten Akt sein nur in in seiner Phantasie bestehendes Grossreich pantomimisch halbiert, wie er sich umgarnt von den vier TänzerInnen tapsig um Eleganz bemüht und an den Rand der Erschöpfung tanzt sind nur einige der vielen faszinierenden und in Erinnerung bleibenden Details.

Das Bild zeigt König Dodon, der Blut von einer Axt leckt

Als sein ebenbürtiges Gegenüber und Inbegriff weiblicher Verführrung kann man Kseniia Proshina in der Rolle der sagenhaften Königin von Schemacha erleben. Stimmlich brillant geniesst auch sie die Körperlichkeit ihrer Rolle: sie führt nicht nur die vier TänzerInnen in einer komplexen minimalistischen Armchoreo an. Wie sie sich immer wieder schlangengleich hüftschwingend auf den als Thronersatz dienenden Schemel setzt und davon erhebt, gehört zu den vielen charmant-skurrilen und organisch aus der Musik heraus entwickelten funkelenden Facetten dieser Inszenierung.

Kseniia Proschina steht mit violettem Kleid und grossem Federputz vor den vier Tänzern

Der in die Handlung einführende Astrologe, der sowohl innerhalb wie auch außerhalb des schwarzhumorigen Dramas agiert, ist exzellent mit dem Amerikaner James Kryshak besetzt, der diese extrem hohe Tenorpartie (Rimski-Kosakow fordert einen „gewöhnlichen hohen lyrischen Tenor mit einem starken und guten Falsett“) brillant meistert. Auch seine beiden stummen Einlagen in den Umbaupausen, in denen er die Bühne vor dem schwarzen Vorhang überquert sind darstellerische Kleinode. Einmal als asthmatisch röchelnder und dem Tode naher, rheumazerfressener Greis, später als im Frack sohlenklackend stolzierender Zauberer. In ihrer stringenten Einfachheit fokussieren diese Szenen die Zuschauer und machen sie für die nächste durchkomponierte Musikwelle aufnahmefähig.
Auch das restliche Ensemble und der Chor überzeugen stimmlich wie darstellerisch in teilweise grotesker Köperlichkeit: der zum Pferd mutierte General Polkan von Alexander Vassiliev oder die Dodon bemutternde Seherin Amelfa von Margarita Nekrasova. Die sich im ersten Akt in ihren grauen Middle-Management-Anzug ständig streitenden Söhne Dodons – Prinz Gwidon (Pavel Valuzhin) und Prinz Afron (Hubert Zapiór) – zieren im zweiten Akt geköpft und an den Füssen aufgehängt den toten Baum.

Der Goldene Hahn, nachdem er König Dodon die Augen ausgehackt hat

Russischer Wahnsinn – vom Zaren zu Putin

Dass bei einer russischen Story rund um wahnsinnige russische Herrscher auch Putin im Hintergrund mitgedacht wird, ist die ebenso bittere wie makabre Ebene dieser Produktion.
Hervorzuheben schliesslich noch das Tanzquartett mit Michael Fernandez, Lorenzo Soragni, Silvano Marraffa und Kai Chun Chuang, die in ihren vielen wechselnden Rollen immer wieder für revueartige Brechungen sorgen: der Friedrichstadtpalast bricht in die Graslandschaft ein. Die Kostüme von Victoria Behr verarbeiten dabei zahlreiche Epochen und kontrastieren in ihrer Farbigkeit die Ödnis des Schauplatzes.

Szene und Musik eng verknüpft

Barrie Kosky zieht als Regisseur dieses ebenso gruselig wie überdrehten aufregenden Musiktheaterspektakels alle Theaterregister, bestens unterstützt von seinem langjährigen Mitarbeiter Otto Pichler, der in seiner facettenreiche Choreographie Elemente vieler Tanzstile zitierend übernimmt. Vom imaginären Papagei als Sockenpuppe, Schattenspielen zwischen Dodon und der Königin, mächtigen Armeen aus zitternden überdimensionalen Spingerschachfiguren bis hin zum abgehackten und dennoch weiterhin singenden Kopf des Zauberers am Ende des Stücks. Grausamkeit und Sinnlichkeit werden zelebriert und sind konsequent aus dem Plot und der in allen Farben funkelden Partitur heraus entwickelt.

Diese liegt bei James Gaffigan, dem neuen Generalmusikdirektor der Komischen Oper in den besten Händen: er und das exzellent spielende Orchester bringen diese Musik zum Glühen, Grollen, Schweben und musikalischem Grimassieren. Ein Interview mit den beiden findet sich auf der Website der Komischen Oper.

Kurzum: ein Empfehlung für packendes Musiktheater!

Weitere Aufführungsdaten und Karten unter:
https://www.komische-oper-berlin.de/spielplan/a-z/der-goldene-hahn/

Foto: Monika Rittershaus und Screenshots des Videos von der Website der Komischen Oper

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